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0: Einführung
Worum geht's

Wir leben in verwirrenden Zeiten. Die Gewissheit der Moderne darüber, wie die Welt funktioniert, ist zerbröselt. Die Fragmente einer Welt, wie sie die Aufklärung konstruiert hat, schwirren um unsere Köpfe, vernebeln unsere Gedanken und lassen uns orientierungslos zurück. Was bedeuten heute schon noch Fakten? Was ist Wirklichkeit und was ist Fiktion?

Hier eine These und ein Vorschlag: Fiktion und Wirklichkeit sind auf eine Weise miteinander verwoben, welche den Versuch ihrer chirurgischen Trennung sinnfrei werden lässt. Fiktion scheint ein zentraler Baustein dessen zu sein, was wir als Wirklichkeit annehmen und erfahren. Modelle, Spekulation, Projektion, Prognosen, Abbildungen, Einbildungen (imaging and imagining), Fabulation und Erzählungen — sie alle beteiligen sich am Herstellungsprozess der Wirklichkeit, an ihrer Fabrikation. Die Werkzeuge, die wir heute dafür benutzen, sind mehr denn je umgeben von undurchdringlichen Black Boxes. Smartphones, die Fotos mehr errechnen als sehen. Algorithmen, die wissen, was wir in der Zukunft tun werden. Maschinen, die auf eine Weise lernen und miteinander kommunizieren, die wir nicht mehr nachvollziehen können.

Unsere Werkzeuge schreiben mit an unseren Gedanken, aber ihre Sprache können wir nicht mehr verstehen. Unser Vokabular ist eines der Vergangenheit und nicht eines der Gegenwart oder gar der Zukunft. Wir stecken in einer Krise der Erzählung.

Legen wir uns also in den Staub der Vergangenheit, blicken wir projizierenden Auges in jene die Aufklärung verschlingenden Black Boxes und versuchen ein Vokabular zu entwickeln, welches das Heute begreifen und das Morgen erzählen kann. Vergessen wir das Entweder-oder und umarmen wir das Sowohl-als-auch.

Ein Ereignis hat die Finanzmärkte durcheinandergewirbelt und gleichermaßen die Reihenfolge dieser Serie. Daher trägt die erste Episode dieser Reihe nicht die Nummer 1, sondern die Nummer 0,5 und diskutiert nicht das Bildermachen, sondern ebenjenes Ereignis.


Die Börse baut auf die Annahme, dass „der Markt“ effizient sei. Vor diesem Hintergrund besteht die Funktion des Marktes darin, den „wahren“ Wert der Dinge zu ermitteln. „An der Börse wird die Zukunft gehandelt“ ist ein vielzitierter und wahrscheinlich auch überbeanspruchter Aphorismus. Und was soll das überhaupt bedeuten? Der Satz kommt so mysteriös daher wie die Märkte selbst.


Doch was ist das? Höre ich da aus der Ferne das Stampfen der kritischen Masse?! Klingt ganz so.
Das Auseinanderdriften der Börsen und der echten Wirtschaft nach dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie reißt einen Raum auf für Ereignisse, die seltsamer als Fiktion zu sein scheinen: Anfang 2021 verabreden sich Kleininvestoren über soziale Netzwerke dazu, milliardenschweren Hedgefonds den Kampf anzusagen. Ausgetragen wird die epische Schlacht auf den rutschigen Hängen des Aktienkurses eines erfolglosen Computerspielehändlers. Diese Kleininvestoren kümmern sich nicht um das Handeln der Zukunft, denn ihr Schlachtruf lautet „YOLO!“ So zumindest geht die Legende.


Was passiert, wenn ein einzelnes Ereignis die Kraft hat, die schwarzen Kassen der Finanzmärkte aufzustemmen, um ganz kurz das verblüffende Ineinandergreifen von Mystik und Mathematik, Momentum und Manipulation darin ans Licht zu bringen und so die Fundamente des Glaubens auf dem diese Märkte fußen ins Wanken zu bringen?


Begrüßen wir den Black Swan und Episode 0,5.
Ah, und nicht vergessen: Das hier ist keine Finanzberatung.


Ihr könnt die Episode auch auf allen Podcasting-Plattformen anhören, zum Beispiel Apple Podcasts oder Google Podcasts.


(Die Episode erscheint auf Englisch)

1: Bilder machen (von Dingen, die keinen Schatten werfen)
mit Tekla Aslanishvili
Bald

Wir leben in einer visuellen Kultur, sagt man so daher. Stimmt das überhaupt? Als Bildende/r KünstlerIn (engl. „visual artist“) beschäftigt man sich nicht zuletzt mit Bildern und dem Sehen. Was aber, wenn entscheidende Vorgänge unserer Gegenwart sich visueller Repräsentation entziehen, ja, ihr sogar entgegen stehen? Was, wenn die Bilder, die uns täglich begegnen mehr Fragen aufwerfen, als dass sie Antworten bieten können? Was, wenn sich das, was wirklich relevant ist, nicht mit den Augen wahrnehmen lässt? Sind wir am Ende dessen angelangt, was wir als eine Kultur des Visuellen bezeichnen?


Das Frontend der Welt mag aus Bildern bestehen, das Backend aber nicht. Bilder sind immer schon prozessiert, gefiltert, bearbeitet, handhabbar gemacht. Im Hintergrund finden sich wohl eher Zahlenreihen und Code — für Menschen unentzifferbar.


In Episode 1 soll der Frage auf den Grund gegangen werden, wie man Bilder machen kann von Dingen, die nicht abbildbar sind, wie Algorithmen im Unsichtbaren unser Leben strukturieren und was das für unser Verständnis der und unseren Zugang zur Welt bedeutet, der doch so stark von unserem Sehsinn abhängt.

3: Fabrikantenphantasien. Architektur und Kontrolle
mit Hermann Bahlsen’s Geist
Bald

Architektur und Kontrolle — a match made in heaven. Konkret lässt sich das veranschaulichen zum Beispiel an der „TET-Stadt“, einem spektakulären, aber gescheiterten Städtebau-Projekt des Hannoverschen Keksfabrikanten Hermann Bahlsen aus den späten 1910er Jahren, das er gemeinsam mit dem Bildhauer Bernhard Hoetger entwarf. Die TET-Stadt — auf dem Papier eine Fabrikstadt nach angelsächsischem Vorbild — ist aber mehr als ein Foucaultscher Albtraum: In den Plänen, Modellen und Korrespondenzen vermischen sich auf eigenartige Art und Weise großindustrielle Allmachtsphantasie und Orientalismus; das Zeitalter der Wissenschaft kollidiert hier mit magischem Denken und taumelt in Richtung Okkultismus.


Auf den Keksverpackungen der Firma ist bis heute nicht alles so geradlinig wie es zu sein scheint — die dort prangende kultische TET-Hieroglyphe bringt den Mittels Magie verfolgten absolutistischen Kontrollwunsch Hermann Bahlsens in die Wohnzimmer der arglosen Konsumenten. Der Leibniz-Keks als Hostie des Räuberbarons — willkommen in der Moderne.


Episode 3 nimmt Platz in Hermann Bahlsens Psyche und irrt mit ihm durch eine Zeit der radikalen Veränderung, in der ein wahnsinniges Projekt wie jenes der TET-Stadt entstehen konnte, krachend scheitern musste und dennoch bis heute seine Wirkmacht entfaltet.

4: Die Zukunft schreiben. Taktische Science-Fiction
mit Wenzel Mehnert
Bald

Im US-Amerikanischen Militär gibt es eine Abteilung in der Science-Fiction Erzählungen über mögliche zukünftige Konflikte verfasst werden. Diese Erzählungen werden von der Armee verwendet, um tatsächliche Strategien für den Umgang mit diesen (noch) fiktiven Krisen zu entwickeln. Tech-Unternehmen im Silicon Valley und anderswo beschäftigen Futurologen und konstruieren Narrative, welche die Kolonisierung des Weltraums als erstrebenswerten Fortschritt beschreiben. Der Elektrofahrzeug-Pionier Tesla entwirft mit seinem Cybertruck das unverwüstliche Vehikel für zukünftige Verteilungskämpfe um knappe Ressourcen auf der bemitleidenswerten alten Erde und erklärt diese Konflikte dabei zum unvermeidlichen Szenario, während Elon Musk — das ikonische Gesicht des Konzerns — schon längst in einer seiner SpaceX-Raketen auf dem Weg zum Mars sitzt und zurückblickt auf seine alte Heimat, die hilflos im Nichts hängende „Blue Marble“.


„It sounds like science fiction, but it’s not“, sagte Jeff Bezos, ehemaliger CEO des Internetriesens Amazon einmal anlässlich einer Produktpräsentation und beschrieb so ganz beiläufig die Kollision erfundener Zukünfte mit der tatsächlichen Gegenwart.


Fiktion wirkt hier durch die Zeit und bringt projizierte Zukünfte in unmittelbare Nähe zu unserer Gegenwart. Dadurch werden diese nicht nur denkbar, sondern vielleicht überhaupt erst möglich. Aber wer schreibt eigentlich diese Zukünfte und mit welcher Absicht?


Episode 4 der Fabrikanten der Wirklichkeit sucht nach Antworten und einer Definition dessen, was „taktische Science-Fiction“ eigentlich sein könnte.

5: Modelle bauen. Katastrophen und Rollenspiele
Bald
6: Gespenster. Saisonarbeiter der Aufklärung
mit mehreren Gespenstern alter weißer Männer
Bald

Wo sind eigentlich die ganzen Gespenster hin verschwunden? Klar, niemand kann mehr rastlose Seelen mit kitschigen Accessoires wie rasselnden Ketten, Nachthemden und sonstigem Schnickschnack gebrauchen, aber ein wohldosiertes Maß an übernatürlichem Spuk könnte unser Denken in der gegenwärtigen Krise der (Selbst-) Erzählung entscheidend erweitern.


Denn eigentlich ist es ja kein Geheimnis, dass uns das Licht der Aufklärung keineswegs die Gespenster genommen hat — vielmehr hat die Ausleuchtung der Welt Schatten produziert, aus denen jetzt Gestalten steigen könnten, deren Existenz wir zwar beharrlich leugnen, nach denen wir uns aber doch so sehr sehnen. Jede Epoche bekommt die Gespenster, die sie verdient und so wäre es doch schade, die Produktivität des spektralen Sehens allein den Hobby-Geisterjägern, Gruseltouristinnen und Party-Gläserrückern zu überlassen.


Die Geschichte des Gespensts lässt sich ohne weiteres als — pun absolutely intended — Geschichte seiner Medien erzählen und so stellt der Science-Fiction Autor Arthur C. Clarke fest: „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden“, woraufhin ihm erwidert wird: „Jede hinreichend obskure Magie ist von Technologie nicht zu unterscheiden.“


Die finale Episode der Fabrikanten der Wirklichkeit beschäftigt sich mit der anwesenden Abwesenheit von Gespenstern und schaut den nicht-Erscheinungen auf die transluzenten Finger. In einer Séance zwischen Technologie und Magie lautet die Frage nicht: Gibt es Gespenster wirklich?, sondern: Was können sie für uns tun?

Wie stellt das (Naturkunde-)Museum Vorstellungen von Wirklichkeit und Wahrheit her und wie verwaltet und kommuniziert sie diese? Eine ganz besondere Rolle spielen in diesem Zusammenhang Dinosaurier: Als vielleicht beliebteste Exponate eines jeden Naturkundemuseums bewegen sich Dinosaurier im unsteten Grenzgebiet von Rekonstruktion und Spekulation. Mit dem Vergehen der Zeit müssen sich Annahmen über Dinosaurier stetigen Updates unterziehen und so werden die Kolosse in spektakulären Ausstellungen mitunter zu stummen Zeugen eines überraschend zerbrechlichen Wahrheitsanspruchs des Museums.


Im Landesmuseum Hannover war lange Zeit das lebensgroßen Modells eines Iguanodon-Dinosauriers ausgestellt — ebenso ein stummer Zeuge. Aus wissenschaftlicher Sicht war das drei Meter hohe Exemplar mit dem Spitznamen „Balduin“ bereits zu seiner Errichtung im Jahr 1961 obsolet (und zwar ziemlich offensichtlich auch für nicht paläontologisch geschulte Augen, möchte man ergänzen). Und doch blieb das „falsche“ Modell bis 2013 ausgestellt.


Episode 2 fragt danach, was die Rolle des Museums im Prozess der Fabrikation von Wirklichkeit ist und welche Erkenntnisse oder Zugänge eigentlich mit der Entfernung des Modells von „Balduin“ verloren gegangen sind. Und nicht zuletzt geht es auch darum, welchen epischen Bärendienst Steven Spielbergs Kino-Klassiker „Jurassic Park“ unserer Vorstellung von Dinosauriern erwiesen hat.

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